Hubertus F. U. Schmige
Hubertus F. U. Schmige

(Copyright Hubertus F. U. Schmige 2017)

                             Das hohe Lied der Rache

 

Rache ist wie eine große, verzehrende Liebe, das Denken an sie hört nie auf, und man beobachtet mit Lust und mit Grausen, wie man in ihren Sog gerät und nicht weiß, will man weg davon oder will man tiefer hinein in diesen stetig zehrenden Strudel mit seinem wachsenden Verlangen nach letzter, endlicher Befriedigung.

Hass und Wut und Rachelust können ganz stille Gefühle sein, bis eine Idee ihnen Form und Ziel gibt.

 

 

Mit einer Attacke wie aus dem Nichts schoss der Leopard aus seiner halbdunklen Ecke in seinem Käfig hervor und sprang mit einem einzigen, weiten Satz über einen Baumstamm weg und knallte in den Maschendraht dicht vor den Zoo-Besuchern. Er fauchte kein einziges Mal. Dort am Maschendraht hielt der Leopard sich fest mit seinen Krallen und fletschte nur die Zähne. Sein wildes, fauchendes Kriegsgeschrei musste er in der Gefangenschaft verloren haben. Nur Hass und Wut und die Lust, die Anderen da draußen zu packen, zu zerreißen und zu zerstören, schossen aus seinen Augen.

 

Leoparden können springen wie Tiger, wenn die Rachelust über sie kommt. Jedes Mal, wenn er sprang, schepperte das ganze Zaungebilde gegen ein Eisengitter, das den Maschendraht zwischen den Besuchern und dem gelb gefleckten Tier hoch hielt. Die Besucher auf der anderen Seite klatschten in die Hände und brüllten, um den Leoparden wieder zum Springen zu reizen. Die Kinder rannten schreiend davon. Der Wärter schimpfte und schickte die Besucher weiter.

 

War es nur der Maschendraht als Grenze seines eingesperrten Lebens, gegen den der Leopard ansprang? Oder war es die ganze zivilisierte Welt und die da draußen, gegen die er seinen Hass schleuderte? Hinter Draht hatten sie dieses Tier eingesperrt, damit sie es immer einmmal besuchen und besichtigen und bewundern konnten, diesen prächtigen Burschen, das perfekte Raubtier, diese Krönung der Schöpfung, die auf der Hühnerleiter des Lebens ganz oben stand.

 

Warum haben die großen Raubtiere eine solche Faszination für uns? Ein

Mysterium, warum wir sie sehen wollen, bewundern und hoch schätzen? Und

doch verfolgen? Weil sie Raubtiere sind? Weil sie Konkurrenten sind? Weil wir

Raum und Leben nicht mit ihnen teilen wollen? Obwohl es für alle Primaten

reichen könnte? Wir sind ungemein hypnotisiert zu sehen, wie diese großen

Reißer durch die Lande ziehen, immer in der Erwartung eines Sprungs nach

vorn, wo es für den einen oder anderen ums Ganze geht. Eine rätselhafte

Faszination ist in uns gegenüber dem, der alles kann, der sich alles nimmt,

der machen kann, was er will, der immer Recht hat, der nur eines kennt,

vorne sein, wenn´s für einen darauf ankommt und oben sein, wenn´s für die

anderen zu Ende geht. Alles das, was wir selbst einmal waren und insgeheim

immer noch sein wollten, immer die ersten sein, die gewinnen, und die letzten,

die irgend wann einmal verlieren.

 

Eines Morgens fanden die Tierpfleger den Leopardenkäfig leer. Der Leopard war verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Keiner konnte erklären, wie es geschehen konnte. Das Gatter hatte man fest verschlossen. Ein Rätsel, man konnte nur vermuten, irgend jemand, ein Freund vielleicht, musste den Leoparden frei gelassen haben. War er jetzt nachts in der Stadt unterwegs auf der Suche nach Rache, die ihn umtrieb? Oder einfach nur nach Beute, nach Ratten und anderem gemeinen Getier? Immerhin soll es in den Städten zehn Mal so viele Ratten geben wie Menschen, die dort im Verborgenen ein gottloses Leben führen. Auf die Dauer werden die Ratten nicht genug für ihn gewesen sein. Er wird nach größeren Tieren Ausschau gehalten haben. Immerhin soll schon die Hälfte aller Menschen in den Städten leben.

 

Nachts hatte der Wärter oft vor dem Käfig gestanden und ihn still beobachtet. Der Leopard soll ganz ruhig geblieben sein, nachts, und nicht nach ihm gesprungen haben. Nur nachts, erzählte der Wärter, hatte er ein Leuchten in den Augen des Leoparden gesehen. Noch war die Seele des Raubtiers nicht gestorben.

 

 

 

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